(INTIMITÄT) Feelings are Facts 16. April – 11. Juni 2023
Künstler:innen
Friedl vom Gröller, Siggi Hofer, Tillman Kaiser, Walter Pichler, Laura Põld, Luca Sára Rózsa, Sophie Thun, Marianne Vlaschits
Kuratorin Barbara Horvath
Ausstellungsdauer 16. April – 11. Juni 2023
Öffnungszeiten: Sam 11 – 17 Uhr, Son 13 – 17 Uhr und nach Vereinbarung
Intimität ist ein ersehntes und doch schwer zu findendes Gefühl. Der Zustand tiefster Vertrautheit – mit sich selbst oder den anderen, ist gleichzeitig einer, der Verletzlichkeit suggeriert.
Das Interesse einer unbekannten Person in einer Bar, ein zärtliches Wort, die kleine Berührung an der Hand, die innige Umarmung eines Freundes, der streifende Blick beim Tanzen, die Fingerspitzen die sanft über die Haut streichen, die stille Vertrautheit mit einem geliebten Menschen … Wo fängt es an, das Intime, wo kollabiert es wieder? Wie ist es möglich, grenzenlose Nähe zu zulassen? Nackt vor dem anderen zu stehen und gesehen zu werden, ohne beschämt zu sein?
Die medienübergreifende Ausstellung zeigt den Einzelnen, seinen/ihren Körper, seine/ihre Sexualität, aber auch das universelle Verlangen nach Verbundenheit, danach zu lieben und geliebt zu werden. Die Künstler:innen balancieren in ihren Arbeiten intime Momente zwischen Innen und Außen, Nähe und Distanz, Tiefe und Oberfläche. Das Suche nach Intimität und die Fähigkeit, diese ertragen zu können, führt zu unverhofften Begegnungen. Die Ausstellung ist ein Appell für die Maximierung von emotionalen, intellektuellen, sozialen, spirituellen und körperlichen Kontakten!
Friedl vom Gröller (*1946 London, lebt in Wien)
Heidi und Friedl, 1970, 16mm,s/w, kein Ton, 3 min
Mutter, 1997-1999, 16mm, s/w, keinTon, 3 min
Lisa, 2001, 16mm, s/w, kein Ton, 3 min
Courtesy sixpackfilm, Wien
Der Regieanweisung von Friedl vom Gröller folgend, einige Minuten stumm der Kamera und damit der Filmemacherin gegenüber zu sitzen, fördert ein bewegendes Spiel zwischen Verführung, Liebe, Scham, Schmerz, Verletzlichkeit und Freude auf die Gesichter von Lisa, Mutter, Heidi und Friedl selbst. Diese psychologischen Porträts besitzen „das Potenzial, uns eine tiefere Begegnung mit uns selbst und mit anderen Menschen zu ermöglichen – vor allem auch, weil es mit dem Versuch verbunden ist, die Menschen offen, direkt und unbeschönigt zu zeigen.“ (Jürgen Tabor) Ein Aspekt von Intimität ist der Wunsch als der Mensch wahrgenommen zu werden, der man wirklich ist. Einander zu fühlen und erfühlt zu werden, spüren und einfach verstanden zu werden, ohne laufend erklären zu müssen, ermöglicht Momente der Begegnung, der Nähe, der Erregung, des Vergnügens an den Menschen, die wir begehren.
Siggi Hofer (*1970 Bruneck/IT, lebt in Wien)
DU BERÜHRST MICH NICHT, 2023
7 Teile Holz/Lack, variable Maße
Schrift und Text sind zentrale Elemente in den Arbeiten von Siggi Hofer. Dabei ist der Inhalt in viele Richtungen lesbar. Im Kunstverein Eisenstadt, auf einer Innenhofwand installiert, schreibt sich eine Textarbeit des Künstlers in den öffentlichen Raum ein. DU BERÜHRST MICH NICHT: In diesem scheinbar einfachen Satz akzentuiert sich die ganze komplexe Beziehungsarbeit. Berührtsein ist was Großes und auch immer eine Geste. Von Nichts und niemanden berührt zu sein, tut weh. Die Sehnsucht, berührt zu werden, der Wunsch sich selbst im und mit dem Anderen zu spüren, bringt Gefühle ins Gleichgewicht. Das aus fragilen, schwarz-bemalten Holzbuchstaben bestehende Schriftbild sucht nach Intimität, findet visuelle Poesie und irritiert auf schonungslose Weise.
Tillman Kaiser (*1972 Graz, lebt in Wien)
Steckschuss, 2023, Mischtechnik, 175 x 105 x 90 cm
Courtesy Galerie Layr, Wien
Tillman Kaisers „durchlässige Figur“ zeigt den Einzelnen, das Subjekt, als fraktales, geometrisch-diffuses Wesen. Der Kopf mit einem doppelten Augenpaar ist in den Schoß gefallen, statt seiner steckt ein aus hunderten kristallinen Zähnen geformtes Objekt in der Öffnung. Immer wieder verknüpfen sich Faltungen und Formen aus Karton und Papier zu komplexeren Strukturen, ahmen Prinzipien der Natur nach. Mitunter desorientiert diese Figur, wenngleich auch auf seltsam begehrliche Art. Die in weiße Farbe getauchte Oberfläche fragt nach der Durchlässigkeit unserer Körper. Wie dünnhäutig ist unsere Haut? Wie nahe wollen wir dem anderen kommen und uns selbst?
Walter Pichler (*1936 Deutschnofen/Südtirol, 2012 gestorben in Wien)
Paar, 1984, Metall, Holz,Lehm, 232 x 69 x 69 cm
Lehmlöcher, 1984, Bleistiftauf Papier, 29 x 21 cm
Lehmhaus für die Paare, 1983, Bleistift auf Papier, 40 x 21 cm
Courtesy Galerie Elisabeth & KlausThoman Innsbruck/Wien
Aus Holz, Lehm und Metall gefertigt, bildet das „Paar“ in der gespiegelten Symmetrie, die nach unten hin zu einer Form verschmilzt, eine architektonisch gedachte Skulptur. Für sie hat der Künstler eine Behausung in Rundform erdacht, einen Ort der Zuflucht, der in direktem Zusammenhang mit dem Körper ersonnen wurde. Die „Löcher“ und „Häuser“ sind fast wie Kleidungsstücke, die das Paar umhüllen und gleichsam eine – wenn auch egoistische – Schutzmaßnahme bilden, die es ihnen ermöglicht der öffentlichen Welt zu entfliehen, um sich in der Sicherheit der Behausung für einen Moment dessen Zugriff und Begehren zu entziehen. Das Verlangen nach Intimität ist ein Grundbedürfnis des Menschen.
Laura Põld (*1984 Tallinn/EST, lebt in Wien und Tallinn)
Lamentations of the Earth Skin, 2023
Gelatine, gekrempelte Wolle, Rohrkolbensamen, Ton, Eisenoxid, Tinte, Maße variabel
Wichtig ist die Verbindung von Haut und Gefühlen. Die Haut ist nicht nur das größte, sondern auch das wichtigste menschliche Sinnesorgan. Über die Tastsensoren versorgt sie mit wichtigen Informationen aus dem Umfeld, lässt zwischen Ich und Außenwelt unterscheiden und macht zu einem empfindsamen Wesen. Zerbrechlich, weich, elastisch, halbtransparent, atmend, sich mit der Zeit verändernd, ein bisschen unheimlich und seltsam verteilen sich Laura Põlds „Hautstücke“ aus biologischem Kunststoff im Kunstverein. Sie lassen nachdenklich werden über Körper in der Zeit, über das Altern, die Akzeptanz und das Finden von Schutz in der eigenen Haut.
Luca Sára Rózsa (*1990 Budapest/HU, lebt in Budapest)
Should I Stay or Should I Go Now, 2023, Öl auf Leinwand, 113 x 98 cm
You Begin Where I End, 2021, Keramik, Erde, Weizen, je 20 x 20 x 20 cm
Courtesy Viltin Galéria, Budapest
Fragmente einer zersplitterten Welt lassen sich wie ein Puzzle zusammensetzen. Bruchstückhafte Gesichter und verschiedenfarbige Ton-Gefäße, denen dünnes Gras entwächst, versammeln sich zu Artefakten eines völlig tyrannischen Ausweidens der Natur. Längst entfremdet und dennoch im Glauben sie besitzen zu können, ist der Mensch jedoch bereits gefallen, nackt und verletzlich. Ist der eigene Tod als unüberholbarer Intimus zu deuten, dann sollte die Deutung des eigenen Lebens als das dem Selbst Intimste nicht befremden. „Die Welt ist nicht stabil. Die Beziehungen zwischen Menschen sind brüchig und die Psychen vielschichtig“, schreibt Barbi Marković. Janusköpfig beginnen und enden wir in der Natur, aus der wir erwachsen sind und der wir uns so beharrlich versuchen, entgegenzusetzen.
Sophie Thun (*1985 Frankfurt a.M./DE, in Warschau aufgewachsen, lebt in Wien)
(KJMF MS AG FW LM AS EW) MC, 2021, Silbergelatineabzug und Fotogrammauf Barytpapier im Rahmen der Künstlerin, 94,7 x 110,5 cm
Some of All the Things in my Apartment Smaller than 8 x 10 Inches (Extended Care), 2021, Silbergelatineabzug und Fotogramm auf Barytpapier, Stahl, Magnete, 127,5 x 425 x 10 cm
(Bei M+P im Schweinestall, verdopplung), 2023, Kontaktabzug und Fotogramm, Silbergelatine auf Barytpapier, 30 x 40 cm
(Bei M+P im Schweinestall), 2023, Kontaktabzug und Fotogramm, Silbergelatine auf Barytpapier, 30 x 40 cm
Courtesy of Sophie Tappeiner,Wien
„Sobald ich nun das Objektiv auf mich gerichtet fühle, ist alles anders: ich nehme eine ‚posierende‘ Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandle mich bereits im Voraus zum Bild“[1], schreibt Roland Barthes 1980 über das fotografische Porträtieren. Das Posieren vor der Kamera ist bei Sophie Thun aktiver Natur und erschafft einen anderen, weiteren Körper – obgleich es ihr eigener ist, ein Paradoxon. Multiple Identitäten manifestieren sich in ihren fotografischen Porträts, die sich selbst zitieren, nachempfinden oder neu arrangieren. All‘ diese Bilder und Abgebildeten behandeln Momente des Privaten und des Öffentlichen. Im ständigen Wechsel (mit sich selbst) charakterisieren sie ein konstruiertes Bildnis der Künstlerin.
[1] Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt am Main 1989, S. 18f.
Marianne Vlaschits (*1983 Wien, lebt in Wien)
A Body That Lasts, 2020-2023, Wandmalerei und Öl auf Leinwand, Maße variabel
Das Portal als Schwelle definiert einen Übergang in eine andere Realität, eine andere Welt, das Innerste öffnet sich und gewährt Einlass. Einmal in die ovalen Leinwände gesogen, geraten sie anfangs zu Eingeweiden, dann zu Wurmlöchern, üppig und in amorphen fleischfarbenen Zuständen festgehalten. Von einem schlafenden Wesen eingehüllt, dessen weiche Formen sich über die Wände des Kunstvereins wölben, überwinden diese Malereien anatomische Grenzen, ufern aus in ein evolutionäres Durcheinander. Marianne Vlaschits Arbeiten legen einen aufregenden Aspekt nahe: Die menschliche Zukunft als Verleiblichung (Embodiment), als ein Zusammenspiel von Körper, Psyche und Umwelt, transformativ und kollektiv.
Ausstellungsansichten: Michael Strasser